Naps'n'Reviews: Blue Reflection


Blue Reflection ist wie eine spielbare Version von City Pop - ich fühlte mich ganz nostalgisch in meine eigene Schulzeit zurück versetzt, obwohl mein Schulleben doch recht anders aussah. Ein jRPG ohne große epische Story - nur eine kleine Geschichte, die es dennoch wert ist gespielt zu werden.

Für mich war Blue Reflection das erste Spiel von GUST. Ja genau, die Softwareschmiede, die auch die Atelier-Reihe jahrelang abseits vom jRPG-Mainstream entwickelte. Ich weiß auch gar nicht mehr, wie ich auf das Spiel aufmerksam wurde, nur das mich die wundervollen Artworks von Mel Kishida nicht mehr losließen und was ich vom Gameplay sah ebenso wenig. Letztes Jahr bekam ich Blue Reflection dann zu Weihnachten, nichts ahnend, dass bald ein Anime starten sollte und auch ein zweiter Teil nur knapp ein Jahr später veröffentlicht werden sollte. Bevor ich mich nun in den zweiten Teil stürze, den ich dieses Jahr unterm Weihnachtsbaum gefunden habe, möchte ich mit euch meine Eindrücke des ersten Teils teilen. Das Spiel habe ich eine Woche vor Weihnachten zum ersten Mal durchgespielt.

Kurzfazit. Meine detaillierteren Eindrücke kannst du im folgenden nachlesen.

Story:

Im Fokus von Blue Reflection stehen vor allem die Charaktere, statt einer übergeordneten, actionreichen Story. Das Spiel erzählt eine Geschichte von heranwachsenden Mädchen und den Emotionen mit denen sie zu kämpfen haben (und das im wahrsten Sinne des Wortes). In einem Mix aus Slice of Life und Magical Girl-Setting stellen sich drei Heldinnen und einige ihrer Mitschülerinnen ihren Emotionen und riesigen Monstern.

Das Schulleben von Hinako und ihren Mitschülerinnen steht im Mittelpunkt von Blue Reflection (eigener Screenshot).

Das Spiel beginnt, als Shirai Hinako zur Oberstufe an eine neue Schule (die Hoshinomiya Highschool) kommt. Aufgrund eines Unfalls musste sie kurz zuvor ihren Traum vom Ballett aufgeben und stößt auch erst im bereits laufenden Schuljahr zum Rest der Klasse. Durch gewisse Umstände wird sie an ihrem ersten Schultag an der Hoshinomiya zu einem Magical Girl und muss sich fortan den Ängsten, Sorgen, der Wut aber auch der Freude ihrer Mitschülerinnen stellen, um schlussendlich ihre eigenen Gefühle akzeptieren und sich nicht zuletzt selbst besser verstehen zu können. Ach ja, und ganz nebenbei rettet Hinako vielleicht dabei noch die Welt - so als Bonus zur Selbsterkenntnis.

Gameplay:
Blue Reflection ist eines der Spiele, das seine Story verstanden hat und entsprechend in das Gameplay einbindet. Hinakos Kraft als Magical Girl (im Spiel "Reflector" genannt) speist sich aus ihren emotionalen Verbindungen zu Anderen. Daher levelt ihr auch nicht klassisch über Kämpfe sondern verdient euch ausschließlich über Quests Punkte, die ihr auf bestimmte Attribute von Hinako, Yuzu und Lime verteilen könnt. Dadurch erlernen Sie wiederum unterschiedliche Fähigkeiten.
 
Neben dieser unkonventionellen Art zu leveln könnt ihr sogenannte Fragmente von Mitschülerinnen erhalten, indem Hinako sie besser kennenlernt. Diese Fragmente können mit Angriffen der drei Magical Girls verknüpft werden und gewähren zusätzliche Effekte. Zum Beispiel kann sich die Wartezeit eines Angriffs verkürzen oder er senkt bei Anwendung Attribute des Gegners.

Fragmente entstehen aus Emotionen und können bspw. Attacken Effekte hinzufügen. Je nach deinen Entscheidungen in Gesprächen mit Mitschülern entstehen manchmal je nach Gesprächsverlauf auch unterschiedliche Fragmente.

In Blue Reflection folgt man einem Tagesablauf, wobei der Vormittag mit kurzen Szenen dargestellt wird und man dann zum Nachmittag die Kontrolle von Hinako übernimmt. Hier hat man dann die Wahl Sidequest zu erledigen, mit anderen Schülerinnen auf dem Heimweg Zeit zu verbringen oder die Hauptstory voranzutreiben. Die Schule ist der Dreh- und Angelpunkt in Blue Reflection, storytechnisch als auch vom Gameplay.

Die Hoshinomiya Highschool ist sozusagen die Oberwelt des Spiels, der Ort von dem du also in Dungeons startest, Quests abgibstt und die Story foranschreiten lässt. Das Gebäude erstreckt sich über drei Stockwerke einen Hof und einen Sportplatz. Hier findest du auch alle Schulkamerdainnen von Hinako, zu denen du Verbindungen aufbauen kannst. Manche von ihnen befinden sich allerdings draußen im Hof oder auf dem Sportplatz und sind bspw. bei Regen nicht anzutreffen.
 
Chihiro triffst du nur im Schulhof bei Sonnenschein. Bei Regen findet man sie nicht.

Innerhalb der Schule kannst du dich frei bewegen, wobei du, wie oft in jRPGs, lediglich laufen und mit anderen reden kannst. Zwischen Quests der Hauptgeschichte hast du keinen Zeitdruck. Erst nachdem Hinako ihren Freundinnen Yuzu und Lime Bericht erstattet hat bewegt sich die Story voran.
Die Sidequests decken dabei typische RPG-Formeln ab. Besiegt einen bestimmten Gegner oder eine bestimmte Anzahl von ihnen, findet ein bestimmtes Item oder stellt es her und gebt es ab. Größtenteils werden Sidequests als Mission im Haptmenü angezeigt, manche sind aber in den Interakionen mit Hinakos Freundinnen versteckt.
 
Bosskämpfe sind durch mitreißende Cutscenes und coole Choreografien großartig inszeniert (eigener Screenshot).

Du bist wie gesagt relativ frei, was deine Wahl der Sidequests angeht, obwohl ein gewisser Teil nötig ist um in der Hauptgeschichte weitergehen zu dürfen. Entsprechend kann ein Spieldruchlauf auch länger oder kürzer sein, je nachdem wieviel Zeit du in die Erkundung und das Kennenlernen der anderen Mädchen investieren willst. Da ich alle Verbindungen zu den Mitschülerinnen maximieren wollte, dauerte mein Spieldurchlauf entsprechend lang. Das Schulleben steht aber sehr stark im Fokus während Kämpfe gegen Gegner und die Erkundung von Dungeons eher nebensächlich ist. Ich würde fast soweit gehen und sagen die Kämpfe gegen normale Gegner sind nur dann nötig, wenn du das Kampfsystem vor einem Boss noch einmal üben willst oder du Items für eine Quest benötigst. Die Bosskämpfe sind dann nämlich tatsächlich die Kirsche auf dem Eisbecher. Sie sind lang und auch toll inszeniert und hier kommt das Kampfsystem voll zum Einsatz.

In Dungeons kann Hinako springen, um Gegnern auszuweichen oder Abgründe zu überwinden. Ein Schwertschwung auf einen Gegner vor dem Kampf bringt dagegen einen kleinen Kampfvorteil (eigener Screenshot).

Grundsätzlich benutzt Blue Reflection ein rundenbasiertes Kampfsystem, bei dem du deinen Einsatz an einem Zeitstrahl ablesen kannst. Während der Eingabe hast du unendlich Zeit deine Taktik zu planen. Während die Gruppe wartet, dass sie an der Reihe ist gibt das Spiel aber auch Möglichkeiten der Interaktion, bspw. kannst du Gegner mithilfe von Hinakos Kraft als Reflektor verlangsamen, dir vor Angriffen eine Barriere aufbauen oder sogar Lebenspunkte erholen! All diese Kniffe werden nach und nach freigeschaltet und langsam eingeführt, sodass man anfangs nicht überfordert ist. Mich hat es auch etwas an Eternal Sonata erinnert, wo das Kampfsystem ebenfalls im Spielverlauf immer wieder verändert und aufgepeppt wurde.

Die Kampfmechaniken erweitern sich im Spielverlauf und geben damit Zeit sich neue Fähigkeiten anzueignen, bevor andere hinzukommen (eigener Screenshot).
 
Eine lebhafte und glaubwürdige Welt
Die Hoshinomiya High ist so ziemlich das einzige, was iher neben den Dungeons in Blue Reflection wirklich aktiv betreteten könnt. Dennoch schaffen es die wunderschön gestalteten Hintergründe, die während der Aktivitäten mit Hinakos Klassenkameradinnen die Ortschaften zeigen, den Eindruck zu erwecken die Stadt rings um die Schule wäre größer als nur die spielbaren Bereiche.
Dazu kommen die detailreichen Hintergrundgeschichten zu den Mädchen. So haben manche bereits familiäre oder persönliche Verbindungen  zu Hinako, die ihr selbst vorher nicht bewusst waren. Andere Mädchen lernt man durch den Schulalltag kennen und erkennt das ihre Probleme gar nicht so unähnlich zu Hinakos sind. Manche Mädchen sind bei Regen (der übrigens zufällig an manchen Tagen fällt) nicht draußen anzutreffen und in manchen Cutscenes erwähnt Hinako auch, dass sie eigentlich besser den Wetterbericht schauen sollte.

Sanae und Hinako vor einem Purikura-Automaten. Auf dem Heimweg mit Mitschülerinnen besucht man Kinos, Karaokebars, macht Purikuras oder Ahnliches. Aktivitäten werden dabei zufällig ausgewählt und sind ähnlich wie Visual Novels dargestellt (eigener Screenshot).

Neben Aktivitäten mit euren Freundinnen könnt ihr auch einfach am Handy daddeln. Dort findet ihr bspw. einen Blog von Ako, der bisherige Ereignisse knapp zusammenfasst. Ein Musikplayer wird immer mit neuen Titeln erweitert, wenn sie einmal im Spiel hörbar waren. Die Musik kann dann sogar in der Schule einfach im Laufen abgespielt werden, während du bspw. Quests suchst. Ein anderer Blog wird von Chihiro geführt. Was es damit auf sich hat möchte ich noch nicht verraten, da es eine süße kleine Überraschung war, nachdem mir bereits etwas Seltsames im Schulgebäude aufgefallen war. Ihr könnt zwar nicht mit den Blogs interagieren aber dennoch ist es etwas, das dem Spiel Leben einhaucht. Es gibt auch einen kleinen Chat, in dem Hinako mit ihren neuen Bekanntschaften über Themen, welche ihre auf ihren Wegen einfallen, schreiben kann. Manchmal wird Hinako aber auch angeschrieben und man kann dann eine kleine Konversation nachlesen. Dazu gibt es noch ein kleines Minispiel, in dem du ein Monster anhand von Entscheidungen aufziehen kannst - es ist simpel, hat keinen Einfluss auf Sidequests oder die Hauptstory und kann endlos wiederholt werden - und dennoch macht es Spaß zwischendurch einfach darin rumzuklicken. Letztendlich kann man sogar noch das Aussehen des Handy-Interface verändern. Alles kleine wunderbare Details, die keinen Einfluss auf das eigentliche Geschehen haben.

Das Handy ist ein süßes interaktives Detail im Spiel (eigener Screenshot).

So sind auch die meisten dieser Eindrücke in Blue Reflection optional, jedoch sind sie meiner Meinung nach das, was auch Hinako selbst charakterisiert und der Welt Leben einhaucht. Wer sich also nur von der Hauptstory leiten lässt wird meiner Meinung nach sehr viel von Hinakos Welt verpassen... Yuzu und Lime drängen sie also nicht umsonst Bekanntschaften zu Anderen zu knüpfen.
 
Audio-visueller Eindruck
Sowohl audiell als auch visuell wusste das Team hinter dem Spiel, was sie erschaffen wollten. Beide Teile gehen hand in Hand und verfolgen einen Stil, der die Artworks von Mel Kishida wunderbar in Ton und Bild umsetzt. Bildtechnisch sind die Cutscenes als auch die Kämpfe mit schönen Bildausschnitten illustriert. Hier und da ist aber manchmal ein Dutch-Angle, der etwas arg aus dem Rahmen fällt, besonders bei ganz normalen Gesprächen zwischen den Mädchen. Bei den wirklich wichtigen Szenen wurde aber auf alles geachtet. Das Wetter und auch die Tageszeit und z.B. der Sonnenstand wird dabei mit zur Inszenierung verwendet.
 
Cutscenes sind zwar nicht immer eingesprochen, aber meist bildtechnisch schön inszeniert. Die Ruhe beim mitlesen empfand ich oft aber auch angenehm beruhigend (eigener Screenshot).
 
Die Dungeons folgen thematisch Emotionen und sind entsprechend traumhaft-malerisch gestaltet. Manche Gebiete mischen sich auch mit anderen, so wie es Emotionen auch tun. Auch das Gegnerdesign ändert sich entsprechend, was aber oft nur bei genauem Hinsehen auffällt, da sich einige oberflächlich doch stark ähneln.
 
Die Dungeons sind für mich optisch ein Hingucker, wenngleich sie etwas wenig zu Entdecken bieten (eigener Screenshot).
 
Ist die Schule farblich eher matt gehalten, so strahlen die Farben in der Welt der Emotionen (sprich: den Dungeons) regelrecht. Musikalisch verhält es sich ähnlich. Die reale Welt wird eher von klassischen Instrumenten dargestellt, wogegen die Dungeons eher synthetisch klingen und das Ganze in den Kämpfen auf die Spitze getrieben wird mit sehr schnellen und pumpenden Tracks bis hin zu skurril und fast schon gruseligen Klängen bei Bosskämpfen.
 

"Overdose" ist eines der Kampfthemen des Spiels und "Blue Reflection" eines der Stücke für ruhige Cutscenes.

Letztere sprengen auch optisch eine Grenze, denn die Kämpfe mischen hier die reale Welt mit der Welt der Emotionen und es werden Schlachten gegen riesige, teils düstere aber auf jeden Fall surreale Bosse ausgetragen. Hier ist auf einmal Hinako der farbenfrohe Fleck im Kampf gegen die Dunkelheit. Eine weitere kluge Symbolik des Spiels hinsichtlich der Geschichte...
 
Kämpfe mixen die knalligen Farben der Common-Dungeons durch die Reflector-Designs mit finsteren Bossgegnern und der Szenerie und matten Farben der realen Welt (eigener Screenshot).

An dieser Stelle habe ich auch noch nicht einmal die grandiose UI-Gestaltung erwähnt, also die der Menüs. Sei es Hauptmenü, der Kampfbildschirm oder das Design von Hinakos Smartphonebildschirm, alles hat einen übersichtlichen, klaren Stil, der komplett durchdesignt ist.
 
Das klare UI-Design zieht sich durch sämtliche Menüs und Anzeigen (eigener Screenshot).

Abschließende Gedanken
Das Gesamtkonzept von Blue Reflection erschafft ein Kunstwerk, dass alle Elemente des Spiels miteinander verschmelzen lässt. Es ist bei weitem kein Spiel, dass alle Details seiner Welt und der Handlung zeigt, sondern sich stattdessen auf ganz bestimmte Teile fokussiert. Die Tage fließen nur so dahin und während der Unterricht kaum gezeigt wird, ist es das was ihr danach tut, was das Spiel euch durchleben lassen will. Die Aktivitäten mit anderen Mädchen, Unternehmungen zusammen, andere Menschen kennenlernen und sich letztendlich dadurch selbst kennenzulernen. Zugegeben, darauf muss man sich einlassen können, denn diese sehr entschleunigte Form ist sicher nicht für jeden etwas, weshalb das Genre-Wort Slice-Of-Life meiner Meinung nach Blue Reflection am besten beschreibt.
Die Kämpfe sind nicht schwer. Selbst auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad gab es bis auf einen Zusatzgegner nichts was sich mir ernsthaft in den Weg stellte. Auch ist die Geschichte nicht episch - und dennoch - versprüht dieses Spiel und seine Charaktere für mich einen Charme, in den ich mich sofort verliebte. Die Hoshinomiya zu besuchen war, wie noch einmal selbst zur Schule zu gehen und nachmittags mit Freunden abzuhängen, Lebenserfahrungen zu sammeln, die man später für selbstverständlich hält und vielleicht auch den Blick dafür verliert, was es heißt aufzuwachsen.
 
Blue Reflection hat etwas zu sagen und verpackt das in ein herrlich unvollkommenes Paket, mit Ecken und Kanten, die gerade seinen besonderen Charme ausmachen. Ich hätte gerne ähnliche Spiele genannt, jedoch fiel mir keines ein, das als Ganzes Blue Reflection ähnlich ist, deshalb die Stichworte in der Übersicht.
 
Ich freue mich schon auf einen neuen Spieldurchlauf, denn das Ende warf einiges auf, was das Spiel in neuem Licht erscheinen lässt. Außerdem war ich leider an genau dem Punkt, an dem die DLC-Episode nicht mehr spielbar ist, als ich sie endlich kaufte...
Zuerst freue ich mich aber den zweiten Teil zu spielen, bevor ich noch einmal in den ersten abtauche. Die Geschichte von Blue Reflection ist auf jeden Fall abgeschlossen und hätte keinen zweiten Teil benötigt. Umso gespannter bin ich somit, was mich im zweiten Teil erwartet.

Ich kann Hinako hier nur zustimmen. Blue Reflection hat mir sehr gefallen (eigener Screenshot).

Anmerkung: Sämtliche Screenshots, einschließlich des *.gifs sind von mir erstellt und sind der PS4-Version aus dem Jahr 2016 von Blue Reflection entnommen.

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